(Sozial)-Pädagoge MA UZH (vorm. lic.phil.I), Mediator SDM
Jupiterstrasse 42
8032 Zürich
Tel.: 079 798 51 47
sennhauser@mediation.ch
mail@roger-sennhauser.ch
www.roger-sennhauser.ch
Angebote/Schwerpunkte:
angeordnete Mediation, interkulturelle Fragen, Scheidung, Trennung, Familien, Schule, Nachbarn, Alter, Mehrgenerationenmediation und -beratung, Einzelberatung
Ausbildung
Studium der Pädagogik und Psychologie mit Lizentiat der Universität Zürich, heute MA UZH 1983 bis 1989
Kinderpsychotherapeutische Ausbildung am psychoanalytischen Seminar Zürich 1990 bis 1997
Verschiedene Fortbildungen und Fachkurse in Führungsfragen und im Kindesschutz von 2000 bis 2010
Mediationsausbildung 2010 bis 2013 im Institut für Kommunikation und Führung (IKF) in Luzern, mit Spezialisierung auf interkulturelle Kommunikation und Mediation, Mediator SDM seit 2017
Einführungskurs für Behördenmitglieder und Behördenmitgliederinnen im neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Luzern 2012/2013
Fachkurs Erwachsenenschutzrecht an der Fachhochschule für Soziale Arbeit Zürich (ZHAW) 2017
Fortbildung Trennungs- und Scheidungsmediation, IEF, 2024
Werdegang
Seit 30 Jahren in verschiedenen Feldern des Sozialbereichs tätig:
- 1990 bis 2002 im stationären sozialpädagogischen Bereich (Pflegefamilie, Heimleitung)
- 2002 bis 2012 beim Kinderhilfswerk Verein Espoir (Begleitung von Pflegeeltern wie Familienbegleiter und Familienbegleiterinnen, Leitung Abklärungsdienst)
- ab 2013 bis 2018 Behördenmitglied der KESB im Kanton Zug, u.a. zuständig für Pflegekinder- und Adoptionswesen im Kanton Zug
- 2018 bis 30.4.2024 Berufsbeistand bei der Stadt Winterthur und Mediator in eigener Praxis
- seit 1.5.2024 vollumfänglich selbständig als Mediator tätig (ca. 30 bis 40%)
Geb. 1962, geschieden, Vater von zwei erwachsenen Töchtern (Zwillingen) und Stiefvater, sechsfacher, aktiver Grossvater, sportlich, kulturell, politisch interessiert
Philosophie, Hintergrund, Sichtweise
Das Ganze ist mehr als seine Einzelteile: Dieser Leitsatz zieht sich durch mein berufliches und privates Leben. Ich war und bin interessiert am sozialen und gesellschaftlichen Leben in allen Altersstufen und darum ein Generalist, der stets versucht, das Ganze zu sehen. Mein besonderes Interesse gilt dem feinen Geflecht menschlichen Zusammenseins und all seinen Schattierungen. Dazu gehören natürlich auch Konflikte unterschiedlichster Prägung.
Meine Arbeitsweise ist geprägt durch die Haltung, dass es keine objektive Wahrnehmung und Wahrheit gibt. Wir konstruieren gemeinsame Wahrheiten. So kommen unterschiedliche Sichtweisen auf eine Sache zusammen und wir suchen gemeinsam nach Lösungen, welche für Sie stimmig sind.
Ich orientiere mich an konstruktivistischen, lösungsorientierten und dialogischen Ansätzen.
In meiner Funktion als Mediator unterstütze ich Sie im Rahmen der gemeinsamen Zusammenarbeit darin, neue Lösungswege zu beschreiten und eine verbindliche Mediationsvereinbarung abzuschliessen. Dabei sind mir faire Lösungen, Respekt und gegenseitige Wertschätzung auch in emotional belasteten Situationen besonders wichtig.
Mitgliedschaft
- Mitgliedschaft des Arbeitskreises Mediation Zürich AMZ
- Schweizierischer Dachverbands für Mediation SDM
- Institut für Mediation Zürich IfM
Organisatorisches
Ort: Jupiterstrasse 42, 8032 Zürich, Möglichkeit einer Co-Mediation mit Fachkollegen und –kolleginnen auch in andern Praxisräumen
Tarif: Fr. 180/h und gemäss Empfehlungen Richtlinien SDM
Mediationsdauer: zwischen einer und sieben Sitzungen, je nach Bedarf auch Einzelsitzungen mit Beteiligten
Sprachen: D, Sp, ev. E (in Ko-Mediation)
Schwerpunkte
- bei angeordneter Mediation
- bei Interkulturellen Fragen
- bei Neuorientierung im Alter
- bei Scheidung
- bei Trennung
- bei Trennung oder Scheidung
- Einzelberatung
- Mehrgenerationenkonflikte
- für Familien
- im Alter
- im schulischen Umfeld
- unter Nachbarn
Blog / Fachbeiträge
Vergebung und Versöhnung: Die Heilung von Beziehungen
In meiner Mediationspraxis begleitete ich in den letzten Jahren öfters Mehrgenerationenkonflikte – meistens zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern – dies in unterschiedlicher Konstellation. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass bei diesen Mediationen die Komplexität menschlicher Interaktionen und Biografien eine zentrale Rolle spielt. Im Zentrum geht es oft um emotionale Prozesse der Vergebung und Versöhnung. Diese beiden Konzepte sind eng miteinander verbunden und haben tiefe Auswirkungen auf die individuelle Lebensqualität sowie das aktuelle wie zukünftige familiäre Miteinander. In diesem Aufsatz werde ich die Bedeutung von Vergebung und Versöhnung im Rahmen einer Mediation erläutern und ihre Rolle bei der «Heilung» von Beziehungen diskutieren.
Mediation und Heilung
Heilung ist wohl ein Konstrukt, das in mediativen Verfahren eher ungewöhnlich ist und sicher mehr therapeutischen Verfahren zugeordnet wird. Dennoch ist gerade in Mehrgenerationenkonflikten von grosser Bedeutung, dass ein innerer Heilungsprozess angestossen werden kann, damit eine zukünftige und bessere Beziehungsgestaltung tatsächlich möglich wird. Die meisten Mediand:innen kommen mit dem allgemein formulierten Ziel einer «verbesserten Kommunikation» zu mir in die Mediation. Die Kommunikation wurde bisher z.B. nur rudimentär geführt. Es sind versteckte Botschaften darin enthalten. Oder jedes Mal, wenn man sich trifft, entsteht eine schlechte Stimmung, alte Geschichten und biografische Verletzungen prägen die Kommunikation etc. Die Mediand:innen möchten mit mir als Prozessbegleiter einen neuen Weg der Kommunikation und insbesondere des Miteinanders finden. Dabei steht weniger eine eigentliche Mediationsvereinbarung des zukünftigen Miteinanders im Vordergrund als oft vielmehr eine aktive Versöhnung. Zu erkennen, dass die aktuell unbefriedigende Kommunikation erst verbessert wird, wenn beide Parteien sich mit ihren persönlichen biografischen Wunden und ihrer Beziehungsgeschichte auseinandersetzen, ist dabei ein zentraler Schlüssel.
Vergebung als Weg zur inneren Freiheit
Einer der zentralen Schlüssel ist dabei die Vergebung als ein Akt des Loslassens von Groll, Wut und Ressentiments gegenüber einer Person, die uns verletzt hat. Die Kommunikation wird oft deshalb als schwierig und unbefriedigend wahrgenommen, weil sie immer wieder durch alte Beziehungsgeschichten (auf der Beziehungs- und Appellebene) belastet wird. Dies zu erkennen und sich auf den Prozess der Vergebung einzulassen, wirkt, auch wenn dies oft hochemotional ist und von beiden Seiten ausgehalten werden muss, für beide Mediand;innen befreiend. Wenn Vergebung gelingt, befreien sich die Mediand:innen von der Last negativer Emotionen. Es ermöglicht sich selbst, inneren Frieden zu finden und so destruktive Kommunikationsmuster zu durchbrechen und das Gegenüber besser zu verstehen. So erhält auch das Vis-à-Vis die Möglichkeit, seine Kommunikationsmuster zu reflektieren und allenfalls zu ändern.
Vergebung ist jedoch kein einfacher Schritt. Sie erfordert Mut, Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen. Manchmal bedeutet Vergebung nicht, dass das, was passiert ist, akzeptiert oder vergessen wird, sondern vielmehr, dass man sich entscheidet, nicht länger von vergangenen Verletzungen kontrolliert zu werden.
Meine Rolle als Mediator in diesem Teil des Mediationsprozesses ist das achtsame Begleiten im Sinne der Steuerung der Kommunikation, des Begrenzens von Verletzungen (keine Abwertungen), des Achtens auf bedürfnisorientierte Ich-Kommunikation. Diese Mediationsphase findet oft zwischen der zweiten und vierten Besprechung statt.
Versöhnung als Wiederherstellung oder Neuausrichtung von Beziehungen
Die Mediation zielt als Instrument zur Bearbeitung von Konflikten stets auf die Gegenwart und insbesondere auf die Zukunft. Es soll in Mehrgenerationenkonflikten mit gezielten Fragen, Anregungen etc. eine Basis geschaffen werden, welche bessere zukünftige familiäre Beziehungen ermöglichen. Im optimalen Fall wird diese Basis verschriftlicht in einer Mediationsvereinbarung. Ob schriftlich oder nicht ist dabei weniger entscheidend, als dass die Lösungssuche letztlich ein Akt der Versöhnung ist. Die Mediand:innen fühlen sich einander verbunden, möchten eine Beziehung pflegen, zeigen sich von ihrer verletzlichen Seite, ringen nach dem für sie stimmigen Weg. Dies gelingt nur, wenn die Vergangenheit ein Stück weit ruhen gelassen werden und so eine Versöhnung gelingen kann. Versöhnung geht über Vergebung hinaus, ist viel stärker ein interaktionaler Prozess zwischen den Mediand:innen und beinhaltet die Wiederherstellung oder Stärkung von Beziehungen nach emotionalen Verletzungen. Sie ist ein Prozess der Annäherung, des Verständnisses und des Wiederaufbaus von Vertrauen. Versöhnung erfordert oft einen offenen Dialog, in dem beide Mediand:innen mitteilen, was sie sich vom Andern wünschen, was sie selbst für eine gelingende Beziehung beizutragen gewillt sind und wo auch gewisse Grenzen liegen. Dieser Weg ist Bestandteil der zweiten Phase der Mediation zwischen der vierten und ca. sechsten (und letzten) Besprechung.
Der Weg zur Versöhnung kann langwierig sein und Geduld erfordern. Die Mediation ist dabei oft das erste Mosaiksteinchen. Der Weg für die Mediand:innen geht nach den ersten Schritten und der Beendigung einer Mediation weiter. Er erfordert die Fähigkeit, Empathie für den Standpunkt des anderen zu entwickeln und gemeinsam Lösungen zu finden, um die Beziehung zu reparieren. Versöhnung bedeutet nicht, dass vergangene Fehler ignoriert und grundsätzlich nicht mehr gesehen werden, sondern dass man bereit ist, über sie hinwegzusehen und gemeinsam nach vorne zu schauen. Gemäss meiner Erfahrung kann der Prozess der Mediation den Versöhnungsprozess oft anstossen. Die Gestaltung der weiteren zukünftigen Beziehung liegt jedoch ausserhalb meines Einflusses. Auch wenn es nicht immer zu einer expliziten Vereinbarung der zukünftigen Beziehungsgestaltung in dieser Art von Mediation kommt, so wurde doch stets die intergenerationelle Beziehung klarer. Es wird benannt, was geschehen ist, was gewünscht wird und was möglich sein soll und kann.
Die transformative Kraft von Vergebung und Versöhnung
Als Letztes möchte ich noch erwähnen, dass Vergebung und Versöhnung letztlich die transformative Kraft besitzen, nicht nur mehrgenerationelle Eltern-Kind- Beziehungen umzugestalten, sondern auch gesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte und Krisen zu überwinden. In interkulturellen und interreligiösen Gemeinschaften und Staaten, die von gegenseitigem Groll und Ressentiments geprägt sind, ist Vergebung und Versöhnung der einzig erfolgversprechende Weg zu einem friedlicheren und harmonischeren Zusammenleben. Gerade in hochkonfliktiven Gebieten wie dem Gaza-Streifen oder in der Ukraine führt kein Weg an der Kraft der Vergebung und Versöhnung vorbei. Der Akt der totalen Zerstörung und Vernichtung kann längerfristig wohl nie ein Weg zum friedlichen Miteinander sein.
Vergebung als mehr innerer Weg und Versöhnung als aktiver Prozess des Miteinanders erfordern nicht nur Mut und Entschlossenheit, sondern viel Mitgefühl und Großzügigkeit, was leider in den aktuellen Konfliktregionen sicher zu wenig vorhanden ist. Letztendlich liegt in der Vergebung und Versöhnung meine Hoffnung auf eine Welt, in der Frieden und Harmonie die Oberhand gewinnen.
Roger Sennhauser, im Mai 2024
Konflikt und Konfliktlösung um eine Neuaufnahme in einer Sportgruppe
oder «ich möchte dem Älterwerden davonrennen»
Roger Sennhauser, Ende November 2024
Im Spätsommer 2024 erlebte ich einen Konflikt um eine Neuaufnahme eines neuen Mitglieds in einer langjährigen Laufsportgruppe persönlich mit. Mit diesem Beitrag leiste ich als Mitbetroffener und Mitglied dieser Laufsportgruppe einen kleinen Beitrag, um diesen Konflikt als «typischen» Gruppenkonflikt besser zu verstehen, aufzuzeigen, wie die Laufsportgruppe den Konflikt aktuell bearbeitet und wie solche Konflikte generell (auf)gelöst werden können. In diesem Sinne ist der Beitrag aus aktuellem Anlass eine Selbstreflexion zu einem Konfliktgeschehen und einer Konfliktlösung ausserhalb einer Mediation – im Sinne teilnehmender Beobachtung und Interpretation auf dem Hintergrund der Kommunikationspsychologie.
- Geschichte der Laufsportgruppe
Die Laufsportgruppe wurde 1987 von etwa acht Mitgliedern gegründet, die sich von einem anderen Verein abspalteten. Ziel war nicht nur ambitionierter Laufsport, sondern auch gesellige Kameradschaft. Die Mitgliederzahl pendelt seit Jahren zwischen 15 und 20. Anfangs nahmen auch Frauen teil, doch die Gruppe entschied sich bald, eine reine Männergruppe[1] zu bleiben.
Ursprünglich ein lockerer Zusammenschluss, wurde die Gründung eines offiziellen Vereins notwendig, um eine städtische Garderobe nutzen zu dürfen. Die Statuten blieben einfach: Ein Mehrheitsentscheid der jährlichen Generalversammlung bestimmt über Neuaufnahmen. Neue Mitglieder werden probeweise eingeladen, begleitet von einem „Götti“.
Die Gemeinschaft entwickelte über 35 Jahre eigene kulturelle Eigenheiten: Neben sportlichen Aktivitäten wie Joggen, Biken, Walken und Bergtouren (mit mehr oder weniger Ambitionen) stehen weitere Männerthemen wie Arbeitsplatzverlust, Beziehungsprobleme oder der Übergang in die Pensionierung im Fokus. Mehr als die Hälfte der Mitglieder ist mittlerweile pensioniert, wodurch sich die Gespräche vermehrt um Lebensgestaltung im Alter drehen. Sportliche Differenzierungen wurden nötig, da einige Mitglieder auf Biken oder Walken umsteigen mussten oder wollten. Gemeinsame Naturerlebnisse, wie Skitouren oder Outdoor-Übernachtungen, fördern die Gemeinschaft und sind vielen von uns wichtig.
Bei der Mitgliederaufnahme wurde stets Wert auf menschliche und sportliche Passung gelegt. In den letzten Jahren gab es keine aktive Werbung, sondern eine sorgfältige und persönliche Auswahl. Politische und gesellschaftliche Themen wie Diskriminierung, Genderfragen oder Diversity werden als gesamtgesellschaftlicher Trend debattiert, wobei die Gruppe mehrheitlich links-grün-liberal eingestellt ist. Die Laufsportgruppe steht im Grundsatz Männern aller sexuellen Orientierungen, Hautfarben und Nationalitäten offen.
Diese Werte und ein starkes Gemeinschaftsgefühl prägen bis heute den Charakter der Laufsportgruppe.
- Konfliktgeschehen
Mit der obigen Schilderung der Vereinsgeschichte und des sozialen Habitus unseres Vereins ist der Rahmen gesteckt, in dem sich nun der Konflikt und die Konfliktbearbeitung um eine Neuaufnahme abspielt.
Ein langjähriges Vereinsmitglied (in der Folge A genannt) hat diesen Sommer einen jüngeren ca. 35-jährigen chinesischen Mann (in der Folge B genannt) an einer Veranstaltung kennengelernt. Dabei haben die Beiden auch über Sport und Laufen miteinander geredet und A hat diesen jungen Mann relativ spontan eingeladen, an unseren wöchentlichen Lauftreffen teilzunehmen, ohne dabei eine vorgängige vertiefende Diskussion im Verein zu führen. Dabei wurde B kommuniziert, dass wir eher ältere Gesellen seien, daher nicht mehr die Schnellsten. Aber dies war dem jungen Mann egal und er kam wacker. Wir stellten schnell fest, dass die Kommunikation mit B schwierig ist, da er nur gebrochen Deutsch spricht. Er arbeitet in der Schweiz in einem internationalen Umfeld und spricht dort meist englisch. Er kann sich auf deutsch verständigen.
Nach kurzer, ca. dreimaliger Teilnahme von B an unserem Lauftreff führte dies im Rahmen unserer kameradschaftlichen Geselligkeit (bei der selten alle Mitglieder anwesend sind) zur Diskussion, ob wir ihn in unsere Whatsapp-Gruppe und überhaupt in unseren Verein aufnehmen sollen. Es wurde eine Wartefrist für die Aufnahme in die WhatsApp-Gruppe bis zur jährlichen Generalversammlung vereinbart. Unklar ist, wer bei dieser Vereinbarung alles aktiv anwesend war und mitdiskutiert hat.
Am Folgetag folgte ein längeres Mail eines unserer langjährigen Mitglieder, dass er sich die Aufnahme eines chinesischen Bürgers in die Laufsportgruppe aufgrund seiner persönlichen Biografie und seiner Geschichte mit dem chinesischen Staat nicht vorstellen könne. Er sei seit x-Jahren mit einer CH-Tibeterin verheiratet und habe dabei durch den chinesischen Staat diverse Schikanen erfahren. So wurden z.B. Visagesuche für Reisen in den Tibet nicht bearbeitet und Kontakte mit Verwandten im Tibet seien nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Er bitte das Mitglied (A), welches B in die Laufsportgruppe gebracht habe, die Nichtaufnahme und sein Unerwünschtsein mitzuteilen.
Daraufhin folgte zwischen mehreren Mitgliedern (zumeist in Kopie an alle) ein reger und hitziger Mailverkehr. Vorwürfe von Rassismus standen im Raum, Vorschläge, wie wir dies weiter diskutieren könnten, wurden eingebracht. A empörte sich heftig über das Vorgehen und erhob massive persönliche Vorwürfe. Gegenseitig zeigte sich bei einigen Unverständnis für die je eingebrachten Positionen. Es wurde hart und eskalativ per Mail ausgetauscht. Die biografische Befindlichkeit und Blickweise wurde einem politisch-korrektem Blickwinkel gegenübergestellt, bei dem es um Unterscheidung von konkretem Mensch und Regime gehe. Erst ein klares und kurzes Mail eines weiteren langjährigen Mitglieds, in welchem er auf die Problematik von Mails bezüglich der Austragung persönlicher Konflikte hinwies und darum bat, auf weitere Mails zu verzichten, führte zu einer gewissen Beruhigung.
- Konfliktbearbeitung
Was ist da nun eigentlich geschehen? Wie wurde der Konflikt anschliessend bearbeitet?
- Verstoss gegen Aufnahmeverfahren?
Wie ich oben beschrieben habe, ist das Aufnahmeverfahren der Laufsportgruppe nicht exakt in den Statuten festgehalten. Es folgte bisher stets impliziten, ungeschriebenen Gesetzen und Regeln. Diese ungeschriebenen Gesetze wurden bei dieser Aufnahme missachtet, was zu grossen Irritationen führte. Das neue Mitglied B war A, welcher als «Götti» fungierte, kaum bekannt. Es bestand zwischen ihnen keine langjährige Freundschaft. Es war nicht bekannt, in welcher Lebenslage sich das neue Mitglied befindet. Es wurde aber rasch klar, dass Gespräche, die dem Themenkreis der älteren Menschen entsprechen, für den jungen Mann kaum interessant sein dürften und dass er vielen unserer Gespräche auch sprachlich nicht zu folgen vermag. Sport (Laufen) ohne Geselligkeit steht für ihn im Vordergrund.
- Unstimmigkeiten über die Fähigkeiten oder den Status der neuen Person
Es zeigte sich als unbestritten, dass die sportlichen Fähigkeiten von B sicher ausreichend sind, um bei unserer Laufsportgruppe mitzurennen. Dass die verbliebene Läuferschar langsamer als früher unterwegs ist, scheint ihn nicht zu stören. Zu grösseren Irritationen führte im Grundsatz primär das Alter, die fehlenden Deutschkenntnisse und die Frage nach der tatsächlichen Motivation, bei unserer Laufsportgruppe mitzumachen. Wir bemerkten, dass das sportliche Interesse einer umfassenderen Teilnahme in einer freundschaftlich verbundenen Männergruppe stärker im Vordergrund stand. Da wir jeweils altersbedingt recht divers unterwegs sind, ergab sich für einige dadurch kaum Gelegenheit, die neue Person und seinen Status besser kennenzulernen. Die schwelende Unzufriedenheit entzündete sich dann plötzlich heftig an der Frage seiner Staatsbürgerschaft, ob der Status als chinesischer Bürger für die Aufnahme relevant ist und wir dabei die Nichtdiskrimination verletzen.
Von der ersten Teilnahme von B bis zur Diskussion und Eskalation um seine Aufnahme als Vereinsmitglied verstrichen ca. acht Wochen. Eine geraume Zeit, in der niemand reagierte und seinen Status und/oder seine Fähigkeiten irgendwie zur grösseren Diskussion stellte. Ich vermute, dass einige bis dahin mehr «die Faust im Sack» machten oder erwarteten, dass sich der Konflikt, resp. die Neuaufnahme von alleine erledigt, indem der junge Mann sein Interesse, bei uns mitzumachen, von sich aus verliert. Dies traf jedoch nicht zu und so musste es wohl aufgrund der unausgesprochenen Erwartungen einiger langjähriger Vereinsmitglieder bei Neuaufnahmen zu diesem Konflikt kommen. Dass sich dieser dann an der «Rassismus- und Diskriminierungsfrage» heftig entfachte, hat im Rückblick wohl vor allem mit dem im Vorfeld erfolgten Schweigen zu tun. Niemand wollte A, welcher den jungen chinesischen Sportler in die Laufsportgruppe gebracht hat, für sein Vorgehen und seinen Verstoss gegen die ungeschriebenen Aufnahmeregeln kritisieren. Niemand besprach mit ihm seine Motivation für sein Handeln und/oder regte zu kritischer Selbstreflexion an.
- Persönliche Konflikte
Die Motivation für das Handeln von A, welche nun in den letzten Wochen immer deutlicher erkennbar wurde, ist vielschichtig. Als offener Mensch, der zu einigen von uns grosses Vertrauen hat, gibt er uns immer wieder Einblicke in sein Innenleben. So ist mir bekannt, was ihn beim Älterwerden und nun speziell in der Pensionierungsphase beschäftigt und belastet. Schon öfters wurde mal ernsthaft, mal humorvoll das Älterwerden debattiert und die persönlichen Konflikte damit sichtbar. Es fällt A schwer, seinen «neuen» Status zu akzeptieren und am liebsten würde er dem Älterwerden davonrennen und sich damit verjüngen. Dies ist ein wesentlicher Hintergrund für seine Motivation, spontan einen jungen Mann in die Laufsportgruppe einzuladen – egal welcher Nationalität oder welcher geschlechtlichen Ausrichtung, Hauptsache jung und dynamisch. So äusserte A dann klar, dass er die Laufsportgruppe gerne verjüngen wolle und gerne auch neue, andere Gesprächsthemen in der geselligen Runde hätte.
Selbstverständlich haben in unserer Männergruppe persönliche Konflikte Platz und immer wieder trugen wir persönliche Lasten auf gemeinsamen Schultern und machten sie so erträglicher. Doch in diesem speziellen Fall wurde gegen implizite Interessen anderer Mitglieder verstossen und das Handeln von A erfolgte ohne vorherige Rück- und Absprachen, was eine vertiefende und wohl sachlichere Diskussion ermöglicht hätte. Spontane Handlungen und Äusserungen entsprechen öfters einem Bedürfnis von A. In diesem Fall hat er aber die daraus resultierende Gruppendynamik unterschätzt.
- Gruppendynamik
Die Gruppendynamik, die auf den Konflikt um die Neuaufnahme folgte, wird hier als typischer Gruppenkonflikt in einer wenig formalisierten Gruppe analysiert.
- Persönliche und starke, durchaus auch sture Charaktere, die den Konflikt heftig austragen. Männer, die ihre Positionen mit Hartnäckigkeit verfolgen, ohne ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu reflektieren.
- Altgediente Laufsportmitglieder mit einigem Charisma, durchaus als Alphatierchen zu bezeichnen, die auf den ungeschriebenen Regeln pochen und ihr Interesse, gemeinsam zu altern und den Verein dann wahrscheinlich aussterben zu lassen, in den Vordergrund stellen.
- Vermittelnde Personen mit dem Bedürfnis nach Harmonie, fairer Diskussion und einem sinnvollen Interessensausgleich.
- Das Bedürfnis von allen, den Zweck des Vereins als Sport- und gemeinsamen Begegnungsort aufrechterhalten zu wollen, ein «Erlebnisraum» bleiben und Niemanden ausschliessen zu wollen.
- Ein Interessent (B), der unabsichtlich als Anstoss von aussen einen Gruppenkonflikt auslöst, aber an der Konfliktbearbeitung nicht beteiligt wird.
Eine Gruppendynamik entfaltet sich stets auf der Hintergrundfolie von Person, Struktur und Prozess. Da wir es mit der Laufsportgruppe mit einem wenig formalisierten Verein zu tun haben, sind Struktur und festgelegte Regeln an einem verschwindend kleinen Ort. Umso stärker treten bei einem Konflikt die Persönlichkeiten hervor und dem Prozess der Konfliktbearbeitung – gerade auch auf der persönlichen Ebene – kommt verstärkte Bedeutung zu. Hinzu kommen gruppendynamische Aspekte von Heterogenität und Homogenität. Ein neues Mitglied bringt immer wieder Heterogenität hinein und eine liebgewonnene Gruppenhomogenität muss aufgegeben werden.
Wir einigten uns schliesslich auf eine Aussprache im Anschluss an den sportlichen Teil. Diese Aussprache fand m.E. in einem konstruktiven Rahmen statt und wurde intern von den in der Laufsportgruppe vorhandenen Kommunikationsspezialisten gesteuert – als mitbetroffene Mitglieder, aber doch mit dem wachsamen Auge auf Art und Weise der Kommunikation.
Als Ergebnis hielten wir fest, dass B vorläufig weiter mit uns rennen darf, wir uns bemühen, ihn und seine Motivation besser kennenzulernen und frühestens an der Jahresversammlung entscheiden, ob er aufgenommen werden soll. Zur Strategieentwicklung wurde vereinbart, dass sich eine Gruppe bilden soll, welche bis zur Generalversammlung einen Vorschlag unterbreiten soll. Interessierte Mitglieder sollen sich dafür beim Präsidenten melden, d.h. die Gruppe wurde bei der Aussprache (noch) nicht fix gebildet. Ebenfalls wurde ein Mitglied beauftragt, B mitzuteilen, dass seine Aufnahme in die WhatsApp-Gruppe und in unseren Verein noch aufgeschoben wird und ihm die Gründe dafür zu erläutern.
- Von den Positionen zu den Interessen und Bedürfnissen:
Bedürfnisse erkennen, Selbstreflexion anregen, Empathie fördern, Persönlichkeiten respektieren
Wie aus der Konfliktforschung und der praktischen Konfliktbearbeitung bekannt ist, benötigt es für erfolgreiche Konfliktbewältigungen einige Bedingungen und Arbeitsschritte:
- Ein noch nicht auf der Eskalationsstufe vollends eskalierter und verhärteter Konflikt, daher:
- Die Bereitschaft, miteinander zu reden und einander zuzuhören – ohne in Vorwurfshaltungen zu fallen.
- Die Bereitschaft zur Selbstreflexion: eigene Positionen überdenken, gemeinsame Interessen herausschälen.
- Die Fähigkeit, seine Bedürfnisse zu erkennen und in Ich-Form zu artikulieren.
- Die jeweiligen Persönlichkeiten anerkennen und respektieren, auch mit ihren manchmal destruktiven Elementen, sich empathisch einfühlen, ohne zu bewerten.
- Aus den gemeinsamen Interessen und Bedürfnissen heraus dann Brücken zueinander zu bauen, Lösungen zu erarbeiten und Kompromisse schliessen können.
Aus Erfahrung als Mediator in vielen diversen Konflikten (v.a. innerfamiliär und intergenerationell) bin ich mir bewusst, dass diese Arbeitsschritte oft einen grossen Aufwand bedeuten und der Weg zu den Lösungen meistens mehrere Schlaufen benötigt. Diese sind oft mit Rückschritten verbunden. Es kann heftig und vorwurfsvoll werden, tiefere Gefühle werden betroffen. Man muss sich mit sich selbst, seinen eigenen Schwächen, seinen Bedürfnissen auseinandersetzen, diese in geeigneter Sprachform artikulieren, so dass sich niemand weiter verletzt fühlt: nicht einfach in einer Männergruppe von mehrheitlich älteren Männern, die in eine Welt hinein sozialisiert wurden, in der Männer «hart» im Nehmen zu sein hatten und noch nicht lernten, Gefühle offen zeigen zu dürfen.
Die gesamte Konfliktbearbeitung ist somit ein Weg und ein Schritt hin zum Üben gewaltfreier Kommunikation, hin zu Kommunikationsformen, die sich in Schlaufen, Spiralen und Prozessen und nicht in Dichotomien oder Kausalitäten zeigt.
Ausschluss und Einschluss – wo hat eine Gruppe, ein Verein berechtigte Interessen, jemanden auszuschliessen, weil die Bedürfnisse zu verschieden sind?
Jede Gruppe hat seine geschriebenen oder ungeschriebenen Regeln, wer dazu gehört, wer wie hineinkommen kann und wer auch ausgeschlossen wird. Die Abstufungen sind oft fliessend, in grösseren Gruppen, Gemeinschaften, Institutionen oft sehr reglementiert. In unserem kleinen Verein ist insbesondere das Geschlecht ein diskriminierendes Ausschlusskriterium, welches von allen akzeptiert wird. Im Weiteren sind keine festen Kriterien festgelegt. Die Aufnahme neuer Mitglieder bewegt sich in einem offenen Reflexionsrahmen, wobei sich die «zwischenmenschliche Passung» als weites und offenes Feld auftut. Vielleicht könnte diese so definiert werden: Wir bemühen uns um Offenheit, Nichtdiskriminierung, um eine antirassistische Haltung. Ein neues Mitglied darf und soll sich nicht nur für Sport, sondern auch für uns Männer in ihrer Lebenswelt interessieren und begeistern können. Umgekehrt bedeutet dies auch, dass wir uns für ein neues Mitglied in seiner Lebenswelt zu interessieren haben und dabei seine Nationalität (oder Herkunft, Hautfarbe) eine untergeordnete Rolle zu sein hat, um über eine Aufnahme in unsere Laufsportgruppe zu befinden.
Mit der Reflexion der Lebenswelten ist auch gemeint, eigene kulturelle Vorurteile zu erkennen, aber auch zu seiner eigenen Lebenswelt und zu seinem Alltag zu stehen. Alle von uns kennen in ihrem Alltag auch kurze, manchmal heftige Impulse von Diskriminierung. Wir alle haben unsere Vorurteile gegenüber Menschen aus anderen Kulturen und Länder. Diese zu reflektieren und zu beurteilen, ob trotz Vorurteilen und Bedenken eine neue Person mit seiner Lebenswelt zu unserer Laufsportgruppe passt, ist eine zentrale Aufgabe jedes Einzelnen der Laufsportgruppe. Wenn die Lebenswelten aus anderen als nur kulturellen Gründen wie z.B. Alter, andere Lebensthemen, reines sportliches Interesse, sprachliche Verständigungsschwierigkeiten zu sehr auseinanderklaffen, darf die zwischenmenschliche Passung angezweifelt werden, ohne jemanden des Rassismusvorwurfes zu bezichtigen. Dies benötigt aber zuerst mal ein gegenseitiges, möglichst vorurteilsfreies Kennenlernen.
Mir scheint im Rückblick, dass die Laufsportgruppe bis jetzt eine falsche «Entweder/oder»-Diskussion geführt hat und dabei den Kern der Interpunktion im Kommunikationsgeschehen verpasst hat. Wo liegt denn nun der Kern in dieser Gruppe?
- Quo vadis mit der Laufsportgruppe?
Ein wesentlicher Kern der unterschiedlichen Interessen liegt an diversen Sichtweisen und Gefühlslagen in der Auseinandersetzung mit dem Alter und was dies für die Zukunft der Laufsportgruppe bedeutet, insbesondere bezüglich Neuaufnahmen. Konkret geht es dabei um das Thema «Bewahren» oder «Verändern und Verjüngen».
In der Folge der Aussprache bildete sich im Einverständnis aller eine Arbeitsgruppe mit der Idee, eine Strategie für die Zukunft zu erarbeiten. Für diese Arbeitsgruppe meldeten sich vier langjährige Mitglieder, welche nun ein Aussprache- und Strategiepapier erarbeitet haben, das sich vor allem auf ihre eigenen Interessen bezieht: es soll so bleiben, wie es jetzt ist. Veränderungen sind im Grossen und Ganzen keine erwünscht. Dieses Aussprachepapier wurde bisher im Vorfeld der Jahresversammlung von Einigen informell besprochen (und auch kritisiert) und bildete schliesslich die Grundlage für Klärung und Kompromisse an der Jahresversammlung.
Demgegenüber steht der Wunsch und das Bedürfnis anderer Mitglieder, unsere Laufsportgruppe mit neuen, jüngeren Mitgliedern zu ergänzen und zu verjüngen. Es soll eine dynamische und offene Gruppe bleiben, die Ideen und Lebenswelten jüngerer Menschen sollen als Bereicherung nicht nur im Sportlichen, sondern auch im Männlichen gesehen werden. Davon würde die gesamte Gruppe profitieren.
Die bilateralen Gespräche zwischen einzelnen Mitgliedern im Vorfeld der Jahresversammlung hatten zum Ziel, die Gemüter zu besänftigen, die kommunikativen Geschehnisse einzuordnen, sich auszutauschen, zu reflektieren und eine grössere Empathie zu entwickeln.
Als Kern lässt sich meines Erachtens ein grosses gemeinsames Interesse herausfiltern, welches uns bei der weiteren Lösungssuche als Leitlinie zu dienen hat: Wir wollen zusammen Sport treiben und weitere Outdoor-Aktivitäten unternehmen. Wir wollen zusammen diskutieren, unser Leben mit Höhepunkten, Sorgen und Nöten teilen und miteinander nach dem Sport essen gehen. Wir wollen uns trotz unterschiedlicher Ideen, Meinungen etc. schätzen und anerkennen. Wir wollen also eine Sport- und Männergruppe sein.
An unserer jährlichen Versammlung stand genau dieses gemeinsame Interesse im Vordergrund. Trotz unterschiedlicher Interessen und Bedürfnisse besteht eine Offenheit für Neumitglieder bei entsprechender Passung. Alle konnten ihre Sichtweise einbringen, die gemeinsamen Werte wurden betont, das Verbindende stand im Vordergrund. Niemand wollte einen formellen Beschluss. Der einzige Wermutstropfen war, dass ein langjähriges Laufsportmitglied sich aus persönlichen und gruppendynamischen Gründen von der jährlichen Versammlung entschuldigt hatte. Es besteht aber Einigkeit, dieses Mitglied weiter einzubinden und zu motivieren, in der Laufsportgruppe aktiv zu bleiben.
- Konfliktlösung in informellen Gruppen
Zum Schluss beschreibe ich, welche Schlussfolgerungen aus dem besonderen Konflikt der Laufsportgruppe für die allgemeine Konfliktlösung in informellen Gruppen gezogen werden können, dies als Ergänzung zu den in Kap. 4 genannten Arbeitsschritten.
In einer informellen Gruppe, wie einem Freundeskreis, einer Hobbygruppe oder einem losen Zusammenschluss von Gleichgesinnten, laufen Konfliktlösungen oft weniger strukturiert ab als in formellen Kontexten. Dennoch gibt es, wie das obige Beispiel zeigt, bewährte Ansätze, die eine Lösung erleichtern:
- Der Konflikt soll ehrlich, direkt und in einem ruhigeren Moment angesprochen werden. In unserem Fallbeispiel ist dies sicher nicht optimal gelungen, insbesondere das gute Timing wurde anfänglich verpasst.
- Klärung ohne Schuldzuweisungen. Es gilt dabei, sich darauf zu konzentrieren, was passiert ist und warum, statt Schuldige zu suchen.
- In einer informellen Gruppe ist es besonders wichtig, die gemeinsamen Werte zu betonen und herauszuheben, was die Gruppe verbindet und warum der Konflikt gelöst werden sollte. Dies ist unserer Laufsportgruppe ganz gut gelungen. Dabei spielen sicher die langfristige Perspektive und die gemeinsame Verbundenheit eine zentrale Rolle. Die unterschiedlichen Reflexionsschlaufen haben zu einer gewissen Klärung geführt.
- Kompromisse und pragmatische Lösungen finden: Eine endgültige Lösung wird oft im Gespräch und ohne Abstimmungen oder Regeln gefunden. Die Beteiligten sind bereit, aufeinander zuzugehen, um den Gruppenzusammenhalt zu wahren. Die nötige Flexibilität und die Bereitschaft zu Kompromissen ist und war auch bei den langjährigen Mitgliedern vorhanden, welche ein Arbeits- und Strategiepapier vorbereitet haben. Ohne Abstimmung wurde der bisherige Weg der Neuaufnahmen nochmals besprochen. Eine sanfte Verjüngung kann als einvernehmliche Entscheidung gesehen werden. Die aktuelle Aufnahme des jungen chinesischen Mannes wurde zusammen mit einer anderen Neuaufnahme um ein Jahr verschoben. Trotzdem darf er weiter bei uns an den sportlichen Aktivitäten teilnehmen.
- Gemeinsame Aktivitäten stärken: In informellen Gruppen stehen oft verschiedene gemeinsame Aktivitäten im Vordergrund. Diese zu stärken und bewusst Aktivitäten durchzuführen, die den Zusammenhalt fördern, sind Teil der Lösung und helfen zur Versöhnung mit. Gemeinsame Winteraktivitäten sind dabei bereits geplant. Es bleibt noch zu überlegen, wie das an der Jahresversammlung abwesende Mitglied durch eine versöhnliche und gemeinsame Aktion wieder eingebunden werden könnte.
Zum Schluss noch einige Besonderheiten in informellen Gruppen:
- Emotionaler Fokus: Beziehungen und persönliche Bindungen stehen im Vordergrund.
- Flexibilität: Entscheidungen und Lösungen erfolgen spontan und ohne formelle Abstimmung.
- Langfristige Rücksichtnahme: Informelle Gruppen agieren oft intuitiv und lernen aus Konflikten, um künftige Spannungen zu vermeiden.
Durch den informellen Charakter wird der Konflikt oft schneller beigelegt, da persönliche Beziehungen und der Wunsch nach Harmonie meist im Vordergrund stehen. Es ist zu hoffen, dass «meine» Laufsportgruppe aus dem Konflikt gelernt hat, künftige Spannungen früher anzusprechen oder sogar daraus weiter lernt, um weitere Spannungen zu vermeiden.
Kleines Anhängsel
Inspiration für diesen Essay ist primär das lebendige Leben, die Analyse, Interpretation folgt den Modellen der Kommunikationspsychologe. Dabei bin ich inspiriert von Paul Watzlawick, Friedemann Schulz von Thun und dem Konfliktforscher Friedrich Glasl.
Roger Sennhauser, im Dezember 2024